Estland Mittelalterliche Kunst
Von
Alttoa, Kaur
Mittelalter
In den letzten Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts setzten die Christianisierungsbestrebungen bei den Liven und schließlich die Eroberung von deren Gebieten ein, zu Anfang des neuen Jahrhunderts erreichten diese Aktivitäten auch das Siedlungsgebiet der Esten. Es folgten im nächsten Vierteljahrhundert Kämpfe und Konflikte mit wechselhaftem Ausgang. Die entscheidenden Ereignisse fanden in den 1220er Jahren statt: Die Eroberung von Tallinn / Reval 1219, die Unterwerfung von Tartu / Dorpat 1224, anschließend der Kriegszug auf die Insel Saaremaa / Ösel 1227; sie alle markierten die Unterwerfung des estnischen Gebiets durch die neuen Machthaber. Als Ergebnis dieser Vorgänge wurde das Territorium Bestandteil des abendländischen Kulturraums, wobei der Integrationsprozess überraschend schnell erfolgte.
Nach der Eroberung wurde das estnische Gebiet unter verschiedenen Herrschern aufgeteilt. Im frisch getauften Land traten drei Bischöfe das Amt an, von diesen waren zwei auch Landesherren. In Südostestland wurde das Bistum Dorpat / Tartu, in Westestland das Bistum Ösel-Wiek / Saare-Lääne gebildet. Das letztere umfasste sowohl den Festlandsbereich von Läänemaa / Wiek als auch die westlich gelegenen Inseln Saaremaa / Ösel und Hiiumaa / Dagö. Nach der Einnahme Tallinns 1219 erhielt das Königreich Dänemark ganz Nordestland, dessen Zentrum Tallinn wurde. Neben dem dänischen Statthalter residierte dort auch der Bischof von Reval / Tallinn. Doch anders als den Bischöfen von Dorpat / Tartu und Ösel-Wiek / Saare-Lääne, gehörten ihm nur wenige Ländereien und seine Position unter den Machthabern blieb verhältnismäßig schwach. Neben dem Königreich Dänemark wurde der 1202 gegründete
zu einem der größten Landbesitzer. Nach der vernichtenden Niederlage der Ordensritter in der Schlacht von Šiauliai (lit. Saulės mūšis) / Schaulen 1236 wurde 1237 aus den verbliebenen Resten des Schwertbrüderordens der livländische Zweig des
gegründet – der sogenannte Livische oder Livländische Orden. Ihm gehörten die Kreise Viljandimaa / Fellin und Pärnumaa / Pernau sowie die östlichen Territorien der Inseln Saaremaa und Hiiumaa. Auf Initiative des Papstes wurde dem Orden 1238 mit dem Vertrag von Stensby noch der Kreis Järvamaa / Jerwen übergeben, allerdings mit der Klausel, dass dort der dänische Machthaber für die Errichtung von Burgen seine Zustimmung erteilen musste. Auf diese Weise versuchte man, zwischen den Gebieten des Ordens und Dänemarks eine neutrale Pufferzone einzurichten. Eine wichtige Änderung bei der Verteilung der Ländereien erfolgte 1346, als der König von Dänemark seine nordestnischen Besitztümer an den livländischen Zweig des Deutschen Ordens verkaufte.
Die neuen Verhältnisse brachten in vielen Bereichen kardinale Neuerungen mit sich, darunter auch auf dem Gebiet der Bautechnologie. Bis dahin dominierten auf estnischem Gebiet Holzbauten, vor allem in Blockbauweise. Mitunter wurden auch Trockenmauern aus Stein ohne Mörtel errichtet. Doch nun wurde begonnen, Kalk und Backstein zu brennen, was vollkommen neue Möglichkeiten eröffnete – der Beginn einer neuen Epoche monumentaler Architektur aus Stein. Wie andernorts in Europa handelte es sich bei den Bauleuten überwiegend um wandernde Meister und Bauhütten. Auf estnischem Gebiet waren Baumeister aus sehr verschiedenen Regionen tätig, etwa aus Westfalen und dem Rheinland – zumindest ein Teil von ihnen war offenbar über Rīga / Riga in das Land gekommen oder aus Skandinavien (auch von der Insel Gotland) und Böhmen zur Regierungszeit von
eingewandert. Eine deutliche Wende in der Bauweise erfolgte zu Beginn des 15. Jahrhunderts in Tallinn. Seit dem Umbau seines Rathauses (1402–04) waren dort einheimische Zunftmeister mit ihrer sehr spezifischen Handschrift auf den Baustellen tätig, so dass sich eine eigene, lokale Bauschule herausbildete. Typisch für die Tallinner Meister war ein schlanker, achteckiger Pfeiler, auf dessen Kämpfer sich Konsolen – ein sogenannter Konsolenkranz – zur Unterstützung der Gurtbögen befanden. Charakteristisch dafür sind einfache Gratgewölbe ohne Rippen mit starken Gurtbögen, die von einem Mandelstab gesäumt sind. Das in dieser Zeit populäre Sterngewölbe trifft man dagegen selten an. Anstelle der bisher verbreiteten Gurtbögen wurden Querrippen eingesetzt, deren Profil das der Diagonalrippe wiederholte. Typisch waren auch ungegliederte Kämpfer an den Portalen. Die Spuren der Tätigkeit dieser Tallinner Meister sind in ganz Nordestland bis hin nach Narva / Narwa anzutreffen, aber auch weiter entfernt – beispielsweise in den Kirchen zu Kaarma / Karmel (auf Saaremaa) und Rannu / Randen (im Kreis Tartumaa / Tartu).
Anders als man angesichts der geografischen Nähe erwarten würde, spielten russische Meister und deren Bautraditionen praktisch keine Rolle, mit Ausnahme der Marienkapelle zu Viru-Nigula / Maholm im Kreis Virumaa / Wierland. Sehr wohl gab es in Tallinn und Tartu auch die Kirchen der Kaufleute aus Pskov / Pleskau und Novgorod / Weliki Nowgorod, doch Informationen über ihre architektonische Gestalt sind praktisch nicht vorhanden.
Nach der Eroberung wurde das estnische Gebiet unter verschiedenen Herrschern aufgeteilt. Im frisch getauften Land traten drei Bischöfe das Amt an, von diesen waren zwei auch Landesherren. In Südostestland wurde das Bistum Dorpat / Tartu, in Westestland das Bistum Ösel-Wiek / Saare-Lääne gebildet. Das letztere umfasste sowohl den Festlandsbereich von Läänemaa / Wiek als auch die westlich gelegenen Inseln Saaremaa / Ösel und Hiiumaa / Dagö. Nach der Einnahme Tallinns 1219 erhielt das Königreich Dänemark ganz Nordestland, dessen Zentrum Tallinn wurde. Neben dem dänischen Statthalter residierte dort auch der Bischof von Reval / Tallinn. Doch anders als den Bischöfen von Dorpat / Tartu und Ösel-Wiek / Saare-Lääne, gehörten ihm nur wenige Ländereien und seine Position unter den Machthabern blieb verhältnismäßig schwach. Neben dem Königreich Dänemark wurde der 1202 gegründete
Die neuen Verhältnisse brachten in vielen Bereichen kardinale Neuerungen mit sich, darunter auch auf dem Gebiet der Bautechnologie. Bis dahin dominierten auf estnischem Gebiet Holzbauten, vor allem in Blockbauweise. Mitunter wurden auch Trockenmauern aus Stein ohne Mörtel errichtet. Doch nun wurde begonnen, Kalk und Backstein zu brennen, was vollkommen neue Möglichkeiten eröffnete – der Beginn einer neuen Epoche monumentaler Architektur aus Stein. Wie andernorts in Europa handelte es sich bei den Bauleuten überwiegend um wandernde Meister und Bauhütten. Auf estnischem Gebiet waren Baumeister aus sehr verschiedenen Regionen tätig, etwa aus Westfalen und dem Rheinland – zumindest ein Teil von ihnen war offenbar über Rīga / Riga in das Land gekommen oder aus Skandinavien (auch von der Insel Gotland) und Böhmen zur Regierungszeit von
Karl IV., Heiliges Römisches Reich, Kaiser
Karl IV., Heiliges Römisches Reich, Kaiser
(1316 - 1378)
Carlo, di Lussemburgo
Carolus IV., Bohemia, Rex
Carolus IV., Imperium Romano-Germanicum, Imperator
Charles IV., Allemagne, Empereur
Charles, Bourgogne, Roi
Charles, de Luxembourg
Charles IV., Germany, Emperor
Karl, Burgund, König
Karl, Mähren, Markgraf
Karl, von Luxemburg
Lucemburský Charles IV.
Liuksemburgietis Karolis IV.
Wenceslas
Wenzel
Karolus IV., Heiliges Römisches Reich, Kaiser
Carolus IV., Heiliges Römisches Reich, Kaiser
Karolus IV., Imperator Romanorum
Carl IV., Heiliges Römisches Reich, Kaiser
Carolus IV., Imperator
Carolus IV., Kaiser
Carolus IV., Romanorum Imperator
Carolus IV., Germania, Imperator
Karel IV.
Carolus, IV.
Karl IV.
Karol IV.
Karl, von Lützelburg
Karolus IV., Imperium Romanum-Germanicum, Imperator
Karl IV., Deutschland, Kaiser
Karl I., König von Böhmen
Karel I., König von Böhmen
Karl IV., Böhmen, König
Karl IV., Kaiser, König in Böhmen
Karl IV., Römisch-Deutsches Reich, Kaiser
Karolus IV.
Caroli IV.
Carolus IV., Imperium Romanum-germanicum, Imperator
Carolus IV, Römisch-deutsches Reich, Kaiser
Carolus Quartus
- König
- Kaiser
Geschlecht:
- Mann
Geboren:
- 14. Mai 1316
Gestorben:
- 29. November 1378
Geburtsort:
- Prag
Sterbeort:
- Prag
Kaiser ab 1355, erließ die Goldene Bulle 1356; König von Böhmen und römisch-deutscher König und Kaiser
Familiäre Beziehungen
Johann, Böhmen, König (Vater)
Elisabeth, Böhmen, Königin (Mutter)
Margarethe, Niederbayern, Herzogin (Schwester)
Blanca, Čechy, Královna (1. Gemahlin)
Katharina, von Luxemburg, Herzogin (Tochter)
Elisabeth, Österreich, Herzogin (Tochter)
Anna, Heiliges Römisches Reich, Königin (2. Gemahlin)
Anna, Heiliges Römisches Reich, Kaiserin (3. Gemahlin)
Wenzel, Heiliges Römisches Reich, König (Sohn)
Elisabeth, Heiliges Römisches Reich, Kaiserin (4. Gemahlin)
Anne, England, Königin (Tochter)
Sigismund, Heiliges Römisches Reich, Kaiser (Sohn)
Johann, Brandenburg, Markgraf (Sohn)
Anders als man angesichts der geografischen Nähe erwarten würde, spielten russische Meister und deren Bautraditionen praktisch keine Rolle, mit Ausnahme der Marienkapelle zu Viru-Nigula / Maholm im Kreis Virumaa / Wierland. Sehr wohl gab es in Tallinn und Tartu auch die Kirchen der Kaufleute aus Pskov / Pleskau und Novgorod / Weliki Nowgorod, doch Informationen über ihre architektonische Gestalt sind praktisch nicht vorhanden.
Burgen
Die neuen Machthaber benötigten sichere Stützpunkte, weshalb unmittelbar nach der Eroberung intensiv mit der Errichtung von Burgen begonnen wurde, die ebenso zum Schutz von Häfen und Landesgrenzen dienten. Weiterhin kam es zwischen den verschiedenen Landesherren zu zahlreichen Konflikten, die sich mitunter zu einem offenen Krieg ausweiteten – so 1396, als der Livländische Orden Kriegszüge gegen das Bistum Dorpat / Tartu organisierte. Es ist sicherlich kein Zufall, dass in der Nähe der westlichen und südlichen Grenze des Bistums Dorpat / Tartu – der Grenze mit dem Orden – ein Ring von privaten Burgen entstand. Insgesamt gab es hier mindestens sieben Vasallenburgen. Der Bau solcher Burgen und befestigter Gutshöfe (Festes Haus) wurde besonders stark im 15. und 16. Jahrhundert vorangetrieben. Im Allgemeinen waren sie jedoch nicht als ständige Wohnsitze gedacht, sondern es handelte sich um zeitweilige sichere Rückzugsorte im Fall von Gefahr.
Bei der Anlage von Burgen fanden so manches Mal bereits vorhandene Bauernburgen Wiederverwendung (Tartu, Otepää / Odenpäh, Viljandi / Fellin, Lihula / Leal und Rakvere / Wesenberg sind entsprechende Beispiele), die nach Möglichkeit zu Steinburgen umgebaut wurden, beispielsweise nach schriftlicher Überlieferung in Viljandi durch den Ordensmeister
1224. Ein eindrucksvolles Beispiel ist die Burg Otepää, der Sitz des Bischofs von Dorpat / Tartu, der sie 1224 zu modernisieren begann. In dieser ist eindeutig die Anlage der Bauernburg noch erkennbar: hauptsächliches Verteidigungselement war eine der Gestalt des Hügels folgende Rundmauer, während der Weg zum Tor spiralförmig entlang des Hanges verlief. Derartig frei gestaltete Burgen waren im 13.–14. Jahrhundert besonders in Südestland verbreitet, wo sich zahlreiche, für diesen Burgentyp geeignete Hügel befanden (Helme / Helmet, Kirumpää / Kirrumpäh und Tarvastu / Tarwast). Zumeist war die Besatzung solcher Burgen nicht sehr zahlreich. Angesichts der bescheidenen Bebauung nahmen Speicher und Ställe oft einen großen Raum ein – beispielsweise gab es in der Ordensburg Helme Stallungen für über einhundert Pferde. Ebenso wissen wir aus den Visitationsberichten des Ordens, dass in diesen Burgen auch große Lebensmittelvorräte lagerten. Diese Vorräte waren nicht für die kleinen Burgbesatzungen gedacht, sondern es handelte sich um gut bewachte Lagerplätze (sogenannte Kornhäuser) für den Kriegsfall.
In der ebenen Landschaft wurden von römischen Grenzbefestigungen angeregte Ringmauerburgen erbaut. Die besten Beispiele hierfür sind die in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts errichteten Burgen in Haapsalu / Hapsal und Põltsamaa / Oberpahlen. Beide verfügen über eine Ringmauer mit quadratischem Grundriss sowie zwei gegenüberliegende Tore. In einer Ecke des Burghofs wurde die Hauptburg errichtet. Die in Europa unter den mittelalterlichen Verteidigungsbauten weit verbreitete Turmburg ist in Estland eher selten anzutreffen. Das einzige Beispiel einer Turmburg, vergleichbar mit dem Typ eines deutschen Bergfrieds, war wahrscheinlich der im 13. Jahrhundert in der Burg Viljandi erbaute „Lange Hermann“, der später in die neue Hauptburg, also das Konventhaus , integriert wurde. Im 14. Jahrhundert wurden in Kirumpää und in Vastseliina / Neuhausen massive viereckige Türme erbaut; unter ihren zahlreichen Räumen unterschiedlicher Funktion befanden sich auch Kapellen. Bescheidene Turmburgen wurde im Spätmittelalter als private Fluchtburgen populär (Kiiu / Kida und Vao / Wack). Sie stellten ein Element in einer größeren Gutshofanlage dar und waren nicht als beständige Wohnstätten gedacht, sondern als zeitweiliger Zufluchtsort im Falle von Kriegsgefahr.
Die Burgenarchitektur im estnischen Gebiet wurde wesentlich vom Deutschen Orden geprägt. Der Aufbau des Ordens ging in vielem von einem zeitgenössischen Mönchsorden aus: Es wurde in einem zwölfköpfigen Konvent gelebt und man befolgte gemeinsame Regeln des Zusammenlebens. Davon ausgehend bildete sich in Preußen ein spezifischer Burgtypus heraus – das Konventhaus, bei dem vier Gebäudeflügel rund um einen quadratischen Innenhof liegen. Im Obergeschoss befanden sich die für das gemeinsame Leben notwendigen Räumlichkeiten wie eine Kapelle, ein Kapitelsaal, ein Refektorium und ein Dormitorium. Ein derartiger Burgentypus verbreitete sich auch in Alt-Livland – in erster Linie in den Komtureien des Ordens, in denen den Regeln gemäß zwölf Ordensbrüder leben sollten. Auf estnischem Gebiet war die Hauptburg zu Viljandi, die in ihren wesentlichen Gebäudeteilen in den letzten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts errichtet worden war, das erste und größte Konventhaus. Es gab Konventhäuser auch in Pärnu, Tallinn, Põltsamaa, Rakvere und Narva. Besonders gut erhalten ist die im dritten Viertel des 14. Jahrhunderts errichtete Hauptburg zu Kuressaare / Arensburg auf der Insel Saaremaa. Sie gehörte dem Bischof von Ösel-Wiek / Saare-Lääne, doch ihre Planung entsprach bis ins Detail einem Konventhaus des Deutschen Ordens. Gebaut wurde sie von Meistern oder einer Bauhütte aus Böhmen.
Der Einsatz von Feuerwaffen führte in der Kriegsführung nicht nur eine kardinale Wende herbei, sondern bewirkte tatsächlich auch eine Veränderung in der Burgenarchitektur. Die ersten Informationen über Feuerwaffen auf estnischem Gebiet stammen bereits aus den 1340er Jahren. Weiterhin wurden in Otepää Bestandteile einer Hakenbüchse aus einer Zeit vor der Zerstörung der Burg im Jahr 1396 aufgefunden. Ebenso wissen wir, dass im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts in Tallinn Kanonen gegossen wurden. Demnach waren an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert Feuerwaffen ausreichend bekannt. In den ersten Jahrzehnten ihrer Verbreitung hatten diese einfachen Feuerwaffen noch keinen starken Einfluss auf die Verteidigungsarchitektur, denn leichte Feuerwaffen waren in Schussweite und Schussgeschwindigkeit vorerst dem Bogen und auch der Armbrust unterlegen. Unter Berücksichtigung der neuen Form der Bewaffnung wurde etwa um die Mitte des 15. Jahrhunderts damit begonnen, der Mauerlinie von Festungen halbrunde oder hufeisenförmige Türme anzubauen, in deren oberem Teil sich zumeist zwei Stockwerke zur Verteidigung befanden. Besonders deutlich ist diese Entwicklung an den Türmen der Tallinner Stadtmauer zu verfolgen. Die fortschreitende Entwicklung von Feuerwaffen brachte um das Jahr 1500 große Veränderungen mit sich. Nun wurde damit begonnen, runde, massive Geschütztürme zu errichten, bei denen sich auch in den unteren Geschossen Schießscharten befanden – beispielsweise in Tallinn die „Dicke Margarethe“ mit einem Durchmesser von 25 Metern und der Turm neben dem Haupttor der Burg von Haapsalu mit einem Durchmesser von 16,5 Metern. Auf die Vertikalverteidigung verweisen Schießscharten auch in den Mauern der Burgen zu Toolse / Tolsburg und Kiiu. Zudem wurden nun auch die Tore von Verteidigungsbauten umgebaut. In mehreren Fällen wurde vor das Haupttor ein Zwinger gebaut, bei dem sich das Vortor in der Seitenwand befand – so wurde vermieden, dass bei einem Schuss möglicherweise alle Tore zerstört werden könnten.
Eine weitere Änderung im Militärwesen, die durch die Feuerwaffen befördert wurde, bestand in der sinkenden Bedeutung des berittenen Ritters. Anstelle dessen wurde der Landsknecht zur Hauptstütze der Streitkräfte. Die neuen Verhältnisse spiegelten sich ebenfalls in der Planung von Burgen wider. Es wurde damit begonnen, geräumige Vorburgen anzulegen (beispielsweise in Haapsalu, Rakvere und Narva). Dort konnten größere Streitkräfte bei Bedarf ein Lager aufschlagen.
Im Livländischen Krieg (1558–82/83) zeigte sich, dass die Zeit der Steinburgen abgelaufen war. Die Steinmauern der Festungen wurden nun mit Erdwällen verstärkt, da diese dem Kanonenfeuer erheblich besser standhielten. Bereits seit den 1580er Jahren wurden die ersten modernen Bastionen errichtet.
Bei der Anlage von Burgen fanden so manches Mal bereits vorhandene Bauernburgen Wiederverwendung (Tartu, Otepää / Odenpäh, Viljandi / Fellin, Lihula / Leal und Rakvere / Wesenberg sind entsprechende Beispiele), die nach Möglichkeit zu Steinburgen umgebaut wurden, beispielsweise nach schriftlicher Überlieferung in Viljandi durch den Ordensmeister
Volquin
Volquin
( - 1236)
von Naumburg zu Winterstätten Volkwin
Wolquin
Wolgulin
Folkvin
- Herrenmeister
- Laienbruder
Geschlecht:
- Mann
Gestorben:
- 1236
Herrenmeister des Schwertbrüderordens; Vertrauter des Rigaer Bischofs Albert von Buxthoeven; fiel 1236 in der Schlacht von Schaulen im Kampf gegen die Žemaiten
In der ebenen Landschaft wurden von römischen Grenzbefestigungen angeregte Ringmauerburgen erbaut. Die besten Beispiele hierfür sind die in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts errichteten Burgen in Haapsalu / Hapsal und Põltsamaa / Oberpahlen. Beide verfügen über eine Ringmauer mit quadratischem Grundriss sowie zwei gegenüberliegende Tore. In einer Ecke des Burghofs wurde die Hauptburg errichtet. Die in Europa unter den mittelalterlichen Verteidigungsbauten weit verbreitete Turmburg ist in Estland eher selten anzutreffen. Das einzige Beispiel einer Turmburg, vergleichbar mit dem Typ eines deutschen Bergfrieds, war wahrscheinlich der im 13. Jahrhundert in der Burg Viljandi erbaute „Lange Hermann“, der später in die neue Hauptburg, also das Konventhaus , integriert wurde. Im 14. Jahrhundert wurden in Kirumpää und in Vastseliina / Neuhausen massive viereckige Türme erbaut; unter ihren zahlreichen Räumen unterschiedlicher Funktion befanden sich auch Kapellen. Bescheidene Turmburgen wurde im Spätmittelalter als private Fluchtburgen populär (Kiiu / Kida und Vao / Wack). Sie stellten ein Element in einer größeren Gutshofanlage dar und waren nicht als beständige Wohnstätten gedacht, sondern als zeitweiliger Zufluchtsort im Falle von Kriegsgefahr.
Die Burgenarchitektur im estnischen Gebiet wurde wesentlich vom Deutschen Orden geprägt. Der Aufbau des Ordens ging in vielem von einem zeitgenössischen Mönchsorden aus: Es wurde in einem zwölfköpfigen Konvent gelebt und man befolgte gemeinsame Regeln des Zusammenlebens. Davon ausgehend bildete sich in Preußen ein spezifischer Burgtypus heraus – das Konventhaus, bei dem vier Gebäudeflügel rund um einen quadratischen Innenhof liegen. Im Obergeschoss befanden sich die für das gemeinsame Leben notwendigen Räumlichkeiten wie eine Kapelle, ein Kapitelsaal, ein Refektorium und ein Dormitorium. Ein derartiger Burgentypus verbreitete sich auch in Alt-Livland – in erster Linie in den Komtureien des Ordens, in denen den Regeln gemäß zwölf Ordensbrüder leben sollten. Auf estnischem Gebiet war die Hauptburg zu Viljandi, die in ihren wesentlichen Gebäudeteilen in den letzten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts errichtet worden war, das erste und größte Konventhaus. Es gab Konventhäuser auch in Pärnu, Tallinn, Põltsamaa, Rakvere und Narva. Besonders gut erhalten ist die im dritten Viertel des 14. Jahrhunderts errichtete Hauptburg zu Kuressaare / Arensburg auf der Insel Saaremaa. Sie gehörte dem Bischof von Ösel-Wiek / Saare-Lääne, doch ihre Planung entsprach bis ins Detail einem Konventhaus des Deutschen Ordens. Gebaut wurde sie von Meistern oder einer Bauhütte aus Böhmen.
Der Einsatz von Feuerwaffen führte in der Kriegsführung nicht nur eine kardinale Wende herbei, sondern bewirkte tatsächlich auch eine Veränderung in der Burgenarchitektur. Die ersten Informationen über Feuerwaffen auf estnischem Gebiet stammen bereits aus den 1340er Jahren. Weiterhin wurden in Otepää Bestandteile einer Hakenbüchse aus einer Zeit vor der Zerstörung der Burg im Jahr 1396 aufgefunden. Ebenso wissen wir, dass im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts in Tallinn Kanonen gegossen wurden. Demnach waren an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert Feuerwaffen ausreichend bekannt. In den ersten Jahrzehnten ihrer Verbreitung hatten diese einfachen Feuerwaffen noch keinen starken Einfluss auf die Verteidigungsarchitektur, denn leichte Feuerwaffen waren in Schussweite und Schussgeschwindigkeit vorerst dem Bogen und auch der Armbrust unterlegen. Unter Berücksichtigung der neuen Form der Bewaffnung wurde etwa um die Mitte des 15. Jahrhunderts damit begonnen, der Mauerlinie von Festungen halbrunde oder hufeisenförmige Türme anzubauen, in deren oberem Teil sich zumeist zwei Stockwerke zur Verteidigung befanden. Besonders deutlich ist diese Entwicklung an den Türmen der Tallinner Stadtmauer zu verfolgen. Die fortschreitende Entwicklung von Feuerwaffen brachte um das Jahr 1500 große Veränderungen mit sich. Nun wurde damit begonnen, runde, massive Geschütztürme zu errichten, bei denen sich auch in den unteren Geschossen Schießscharten befanden – beispielsweise in Tallinn die „Dicke Margarethe“ mit einem Durchmesser von 25 Metern und der Turm neben dem Haupttor der Burg von Haapsalu mit einem Durchmesser von 16,5 Metern. Auf die Vertikalverteidigung verweisen Schießscharten auch in den Mauern der Burgen zu Toolse / Tolsburg und Kiiu. Zudem wurden nun auch die Tore von Verteidigungsbauten umgebaut. In mehreren Fällen wurde vor das Haupttor ein Zwinger gebaut, bei dem sich das Vortor in der Seitenwand befand – so wurde vermieden, dass bei einem Schuss möglicherweise alle Tore zerstört werden könnten.
Eine weitere Änderung im Militärwesen, die durch die Feuerwaffen befördert wurde, bestand in der sinkenden Bedeutung des berittenen Ritters. Anstelle dessen wurde der Landsknecht zur Hauptstütze der Streitkräfte. Die neuen Verhältnisse spiegelten sich ebenfalls in der Planung von Burgen wider. Es wurde damit begonnen, geräumige Vorburgen anzulegen (beispielsweise in Haapsalu, Rakvere und Narva). Dort konnten größere Streitkräfte bei Bedarf ein Lager aufschlagen.
Im Livländischen Krieg (1558–82/83) zeigte sich, dass die Zeit der Steinburgen abgelaufen war. Die Steinmauern der Festungen wurden nun mit Erdwällen verstärkt, da diese dem Kanonenfeuer erheblich besser standhielten. Bereits seit den 1580er Jahren wurden die ersten modernen Bastionen errichtet.
Städte
Nach der Eroberung bildeten sich Städte als neue Siedlungszentren heraus, die bis dahin unbekannt gewesen waren. Im Mittelalter verfügte das estnische Gebiet über neun Städte: Tallinn, Tartu, Viljandi, Haapsalu, Paide / Weißenstein, Rakvere, Vana-Pärnu / Alt-Pernau, Uus-Pärnu / Neu-Pernau und Narva. Die meisten von ihnen bekamen das Stadtrecht im 13. Jahrhundert verliehen. Die jüngste Stadt war Narva , sie erhielt erst 1345 Stadtrecht. All diese Städte wurden in der unmittelbaren Nachbarschaft von Burgen angelegt. In einigen Fällen – Tallinn, Tartu und Viljandi – befand sich in der Region ein früheres Siedlungszentrum, dagegen wurden mehrere Städte (Uus- und Vana-Pärnu, Haapsalu, Paide sowie Narva) auf vorher unbesiedeltem Gebiet errichtet. Eine Stadtgründung konnte in einem relativ kurzen Zeitraum erfolgen. So wissen wir im Fall von Paide, dass die Ordensburg hier 1265 erbaut wurde. Nur ein Vierteljahrhundert später, 1291, erhielt die neben der Burg gewachsene Siedlung Stadtrecht. Die meisten Städte waren von einer Stadtmauer umgeben – eine solche fehlte nur in Paide und Rakvere. In Tallinn und Tartu sowie vermutlich auch in Viljandi wurde in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts mit dem Bau einer Stadtmauer begonnen. Die meisten Kleinstädte erhielten ihre steinernen Schutzmauern jedoch im 14. Jahrhundert. Selbstverständlich wurden diese Mauern in der Folgezeit entsprechend den Bedürfnissen und den Möglichkeiten ergänzt.
Die sehr gut erhaltene mittelalterliche Stadt von Tallinn ist in ganz Nordeuropa einzigartig. Im Mittelalter bestand Tallinn aus zwei in ihrer Jurisdiktion voneinander unabhängigen Städten – die Ober- und die Unterstadt. Oben auf dem Domberg residierten der Vertreter des Landesherrn (zuerst der dänische Statthalter, dann der Komtur des Deutschen Ordens) und der Bischof von Reval / Tallinn. In der unabhängigen Unterstadt konzentrierten sich vor allem der Handel und das Handwerk, sie wurde von einem Rat geleitet. Die frühere Bebauung des Dombergs wurde in einem Brand 1684 fast vollständig zerstört, von ihrem ursprünglichen Erscheinungsbild fehlt uns jegliche Vorstellung. Dagegen ist die mittelalterliche Unterstadt außergewöhnlich gut erhalten. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass ein großer Bauboom im 15. Jahrhundert das Stadtbild von Tallinn gründlich veränderte. So wurden beide im 13. Jahrhundert errichteten Gemeindekirchen umgebaut – die Olai- und die Nikolaikirche erhielten ein basilikales Langhaus und einen Chorumgang. Von den früheren Gebäuden sind in der Unterstadt nur noch wenige Spuren vorhanden – vor allem die Heiliggeistkirche, teilweise das Mauerwerk des Zisterzienserinnenklosters St. Michaelis und des Katharinenklosters der Dominikaner und die älteren Bestandteile der Stadtmauer. Die Stadtbefestigungen Tallinns sind neben denjenigen von Visby (Gotland) die am besten erhaltenen im Ostseeraum. Mit dem Bau der Mauer wurde in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts begonnen, und sie wurde im Folgenden bis zur ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wiederholt modernisiert. Zahlreich sind spätmittelalterliche Profanbauten erhalten wie das Rathaus, das Haus der Großen Gilde und Wohnhäuser. Bei den meisten dieser Wohnhäuser handelt es sich um für Hansestädte typische, sogenannte Dielenhäuser, bei dem eine Diele mit einem Mantelschornstein an der Straßenseite liegt. Dahinter befindet sich die Dornse, die von einem im Keller gelegenen Hypokaustofen beheizt wird. Die oberen Geschosse und der Dachboden dienten in einem solchen Kaufmannshaus als geräumige Lager- und Speicherräume.
Die mittelalterliche Bebauung in anderen estnischen Städten ist hingegen durch Kriege und Feuersbrünste nahezu vollständig zerstört worden. Mitunter ist ein kleiner Ausschnitt der Stadtbefestigung oder eine Stadtkirche in umgebauter Form erhalten. Historische Stadtpläne, besonders aus dem 17. Jahrhundert, enthalten wichtige Informationen über jene Städte, und wir erhalten zusätzliche Angaben durch archäologische Ausgrabungen. Diese Daten legen nahe, dass in diesen Städten die Struktur der mittelalterlichen Straßen zumeist erhalten ist – durchaus wurden diese Straßen jedoch später so manches Mal verengt oder erweitert. Aber auf den Stadtplänen lassen sich verschiedene Tendenzen feststellen, so gab es sowohl eine systematische Planung als auch eine zufällige Entwicklung. Beispielsweise entstand die Stadt Rakvere an einer T-förmigen Wegekreuzung am Fuße der Burg, wo entsprechend den Bedürfnissen der Stadtbewohner die Grundstücke vermessen wurden. Selten anzutreffen ist hingegen die planmäßige Stadtanlage im Sinne der sogenannten deutschen Ostsiedlung , bei der auf bisher unbesiedeltem und ebenem Land das gesamte Territorium der Stadt in regelmäßige Viertel und Grundstücke aufgeteilt wurde. Das beste Beispiel dafür ist Pärnu. Meistens lief es allerdings auf einen Kompromiss hinaus: Beispielsweise versuchte man entlang der wichtigen historischen Fernstraßen möglichst regelmäßige Siedlungen bzw. Grundstücke anzulegen. In so manch einem Fall waren jedoch die Interessen des livländischen Zweigs des Deutschen Ordens ausschlaggebend. Die mit Stadtmauern umgebenen Bereiche dienten gleichzeitig auch als äußere Vorburgen der Ordensburgen. Spätere Kriegshandlungen offenbaren, dass die Eroberung der Burg erst dann glückte, wenn auch die Stadt eingenommen worden war.
Ähnlich wie im Falle Tallinns handelte es sich auch bei Tartu in Wirklichkeit um zwei Städte: eine bischöfliche Oberstadt und eine autonome Unterstadt. In Tartu sticht die Anzahl der Sakralbauten ins Auge. Es gab hier eine Domkirche, zwei Stadtkirchen, insgesamt vier Klöster, zwei orthodoxe Kirchen für die russischen Kaufleute und mehrere Kapellen in der städtischen Gemarkung . Während die prächtige Domkirche zu Tartu mit den für gotische Kathedralen typischen Doppeltürmen und einem Chorumgang die einzige ihrer Art in Alt-Livland war, zählt die Johanniskirche mit ihren etwa 2.000 Skulpturen zu den Sakralbauten mit dem reichhaltigsten Terrakottadekor im ganzen Abendland. Das Langhaus der zweiten Stadtkirche Tartus – die Marienkirche (Ruinen zu Beginn des 19. Jahrhunderts abgerissen) – vertrat dazu eine selten auftretende Raumform, die der sogenannten Pseudobasilika.
In jeder kleineren Stadt befand sich eine Pfarrkirche, in Viljandi zudem ein in den 1470er Jahren angelegtes Franziskanerkloster. Kurz vor der Reformation wurden in Rakvere noch ein Franziskaner- und in Narva ein Dominikanerkloster eingerichtet, doch im alltäglichen Leben dieser Städte spielten sie nur eine marginale Rolle. In Haapsalu gab es zunächst nur die Domkirche, erst kurz vor der Reformation gelang es dort auch eine bescheidene Stadtkirche zu erbauen. Im Zweiten Weltkrieg wurden die mittelalterlichen Stadtkirchen von Pärnu und Narva zerstört und später abgerissen.
Von öffentlichen Gebäuden (Rathaus und Gildenhäuser) ist in diesen Städten im besten Fall ihr ungefährer Standort bekannt. In Narva, wo ein Rathaus fehlte, hielt der Magistrat der Stadt seine Sitzungen in der Stadtkirche ab. In Folge archäologischer Ausgrabungen wurden Reste steinerner Wohnhäuser aufgefunden, darunter Dielenhäuser in Tartu, Narva und Haapsalu.
Die sehr gut erhaltene mittelalterliche Stadt von Tallinn ist in ganz Nordeuropa einzigartig. Im Mittelalter bestand Tallinn aus zwei in ihrer Jurisdiktion voneinander unabhängigen Städten – die Ober- und die Unterstadt. Oben auf dem Domberg residierten der Vertreter des Landesherrn (zuerst der dänische Statthalter, dann der Komtur des Deutschen Ordens) und der Bischof von Reval / Tallinn. In der unabhängigen Unterstadt konzentrierten sich vor allem der Handel und das Handwerk, sie wurde von einem Rat geleitet. Die frühere Bebauung des Dombergs wurde in einem Brand 1684 fast vollständig zerstört, von ihrem ursprünglichen Erscheinungsbild fehlt uns jegliche Vorstellung. Dagegen ist die mittelalterliche Unterstadt außergewöhnlich gut erhalten. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass ein großer Bauboom im 15. Jahrhundert das Stadtbild von Tallinn gründlich veränderte. So wurden beide im 13. Jahrhundert errichteten Gemeindekirchen umgebaut – die Olai- und die Nikolaikirche erhielten ein basilikales Langhaus und einen Chorumgang. Von den früheren Gebäuden sind in der Unterstadt nur noch wenige Spuren vorhanden – vor allem die Heiliggeistkirche, teilweise das Mauerwerk des Zisterzienserinnenklosters St. Michaelis und des Katharinenklosters der Dominikaner und die älteren Bestandteile der Stadtmauer. Die Stadtbefestigungen Tallinns sind neben denjenigen von Visby (Gotland) die am besten erhaltenen im Ostseeraum. Mit dem Bau der Mauer wurde in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts begonnen, und sie wurde im Folgenden bis zur ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wiederholt modernisiert. Zahlreich sind spätmittelalterliche Profanbauten erhalten wie das Rathaus, das Haus der Großen Gilde und Wohnhäuser. Bei den meisten dieser Wohnhäuser handelt es sich um für Hansestädte typische, sogenannte Dielenhäuser, bei dem eine Diele mit einem Mantelschornstein an der Straßenseite liegt. Dahinter befindet sich die Dornse, die von einem im Keller gelegenen Hypokaustofen beheizt wird. Die oberen Geschosse und der Dachboden dienten in einem solchen Kaufmannshaus als geräumige Lager- und Speicherräume.
Die mittelalterliche Bebauung in anderen estnischen Städten ist hingegen durch Kriege und Feuersbrünste nahezu vollständig zerstört worden. Mitunter ist ein kleiner Ausschnitt der Stadtbefestigung oder eine Stadtkirche in umgebauter Form erhalten. Historische Stadtpläne, besonders aus dem 17. Jahrhundert, enthalten wichtige Informationen über jene Städte, und wir erhalten zusätzliche Angaben durch archäologische Ausgrabungen. Diese Daten legen nahe, dass in diesen Städten die Struktur der mittelalterlichen Straßen zumeist erhalten ist – durchaus wurden diese Straßen jedoch später so manches Mal verengt oder erweitert. Aber auf den Stadtplänen lassen sich verschiedene Tendenzen feststellen, so gab es sowohl eine systematische Planung als auch eine zufällige Entwicklung. Beispielsweise entstand die Stadt Rakvere an einer T-förmigen Wegekreuzung am Fuße der Burg, wo entsprechend den Bedürfnissen der Stadtbewohner die Grundstücke vermessen wurden. Selten anzutreffen ist hingegen die planmäßige Stadtanlage im Sinne der sogenannten deutschen Ostsiedlung , bei der auf bisher unbesiedeltem und ebenem Land das gesamte Territorium der Stadt in regelmäßige Viertel und Grundstücke aufgeteilt wurde. Das beste Beispiel dafür ist Pärnu. Meistens lief es allerdings auf einen Kompromiss hinaus: Beispielsweise versuchte man entlang der wichtigen historischen Fernstraßen möglichst regelmäßige Siedlungen bzw. Grundstücke anzulegen. In so manch einem Fall waren jedoch die Interessen des livländischen Zweigs des Deutschen Ordens ausschlaggebend. Die mit Stadtmauern umgebenen Bereiche dienten gleichzeitig auch als äußere Vorburgen der Ordensburgen. Spätere Kriegshandlungen offenbaren, dass die Eroberung der Burg erst dann glückte, wenn auch die Stadt eingenommen worden war.
Ähnlich wie im Falle Tallinns handelte es sich auch bei Tartu in Wirklichkeit um zwei Städte: eine bischöfliche Oberstadt und eine autonome Unterstadt. In Tartu sticht die Anzahl der Sakralbauten ins Auge. Es gab hier eine Domkirche, zwei Stadtkirchen, insgesamt vier Klöster, zwei orthodoxe Kirchen für die russischen Kaufleute und mehrere Kapellen in der städtischen Gemarkung . Während die prächtige Domkirche zu Tartu mit den für gotische Kathedralen typischen Doppeltürmen und einem Chorumgang die einzige ihrer Art in Alt-Livland war, zählt die Johanniskirche mit ihren etwa 2.000 Skulpturen zu den Sakralbauten mit dem reichhaltigsten Terrakottadekor im ganzen Abendland. Das Langhaus der zweiten Stadtkirche Tartus – die Marienkirche (Ruinen zu Beginn des 19. Jahrhunderts abgerissen) – vertrat dazu eine selten auftretende Raumform, die der sogenannten Pseudobasilika.
In jeder kleineren Stadt befand sich eine Pfarrkirche, in Viljandi zudem ein in den 1470er Jahren angelegtes Franziskanerkloster. Kurz vor der Reformation wurden in Rakvere noch ein Franziskaner- und in Narva ein Dominikanerkloster eingerichtet, doch im alltäglichen Leben dieser Städte spielten sie nur eine marginale Rolle. In Haapsalu gab es zunächst nur die Domkirche, erst kurz vor der Reformation gelang es dort auch eine bescheidene Stadtkirche zu erbauen. Im Zweiten Weltkrieg wurden die mittelalterlichen Stadtkirchen von Pärnu und Narva zerstört und später abgerissen.
Von öffentlichen Gebäuden (Rathaus und Gildenhäuser) ist in diesen Städten im besten Fall ihr ungefährer Standort bekannt. In Narva, wo ein Rathaus fehlte, hielt der Magistrat der Stadt seine Sitzungen in der Stadtkirche ab. In Folge archäologischer Ausgrabungen wurden Reste steinerner Wohnhäuser aufgefunden, darunter Dielenhäuser in Tartu, Narva und Haapsalu.
Landkirchen
In Estland sind rund 50 mittelalterliche Landkirchen erhalten. Im Vergleich zu den Nachbarländern, beispielsweise Finnland, ist ihre Vielseitigkeit überraschend. Auf einer verhältnismäßig kleinen Fläche wurden zur selben Zeit sehr unterschiedliche Lösungen gewählt, wobei mit Sicherheit das verwendete Baumaterial eine Rolle spielte. In Nord- und Westestland findet sich mühelos Kalkstein. In Südestland waren die hauptsächlichen Baumaterialien Feld- und Backstein. Verständlicherweise hing die Bautätigkeit von den wirtschaftlichen Möglichkeiten und auch den unterschiedlichen Baumeistern ab, doch offensichtlich waren vor allem die Vorlieben der Bauherren ausschlaggebend.
Im 13. Jahrhundert war die Bautätigkeit in Westestland am intensivsten: sowohl im Bistum Ösel-Wiek / Saare-Lääne als auch auf dem Gebiet des livländischen Zweigs des Deutschen Ordens. Mit der Kapitulation der Bauernburg von Valjala / Wolde 1227 war die Eroberung des estnischen Gebiets abgeschlossen. Anlässlich dieses Ereignisses wurde in Valjala offenbar eine Kapelle errichtet. Es handelt sich um das älteste mit Mörtel erbaute steinerne Bauwerk in Estland. Ungefähr zur selben Zeit wurde auch in Pöide / Peude eine steinerne Kapelle errichtet, dort gestaltete der livländische Zweig des Deutschen Ordens sein Machtzentrum auf der Insel Saaremaa. Kurze Zeit später, vermutlich schon 1230, wurde die Kapelle zu Valjala zu einer ordentlichen Gemeindekirche erweitert, indem eine Rundapsis und ein einschiffiges Langhaus angebaut wurden. Die Portale dieser Kirche gehören zu den seltenen Vertretern eines reinen romanischen Stils in Estland. Im Langhaus waren an den Langwänden hölzerne Wehrgänge angebracht, wobei die Fenster als Schießscharten genutzt werden konnten. So legte die Kirche zu Valjala auf dem estnischen Gebiet den Grundstein für die Tradition der Wehrkirche.
Nach dem Vorbild der Kirche zu Valjala wurde im Bistum Ösel-Wiek / Saare-Lääne der populärste Kirchentypus des 13./14. Jahrhunderts geschaffen, bei dem an ein einschiffiges Langhaus ein etwas kleinerer Altarraum anschließt. Diesen Kirchen fehlte der Westturm – offensichtlich unter Einfluss der Ideologie der Zisterzienser oder auch der Dominikaner, deren Regelwerk den Bau eines verschönernden Turms ausschloss. Diesen Kirchentypus vertraten auf Saaremaa die Kirchen zu Kaarma / Karmel, Karja / Karris und Püha / Pyha, auf dem Festlandsterritorium des Bistums diejenigen zu Karuse / Karusen, Hanila / Hannehl und Ridala / Röthel.
Im Fall der Kirchen von Ösel-Wiek / Saare-Lääne fällt der bildhauerische Dekor auf, für den das in der Region vorkommende, geeignete Material, vor allem der Dolomit von Kaarma, die Voraussetzung schuf. Kurze Zeit später, nach den archaischen romanischen Formen der Portale zu Valjala, wurde im Bistum auf dem Festland wie auf Saaremaa ein frühgotischer Dekor vorherrschend, der sich hauptsächlich durch Knospenkapitelle auszeichnete. Dasselbe Motiv wurde auch für Schlusssteine genutzt. Zumindest in einigen Fällen, wie der Domkirche zu Haapsalu und der Kirche zu Kaarma, können personelle Beziehungen festgestellt werden, hier etwa die Anwesenheit des Meisters der Dombauhütte Riga sowie im Fall des Schlusssteins in Kihelkonna / Kielkond des Bauhüttenmeisters der Zisterzienserkirche in Varnhem (Schweden). Der Höhepunkt der mittelalterlichen Bauskulptur des Bistums Ösel-Wiek / Saare-Lääne und gleichzeitig ganz Estlands war der naturalistische, hochgotische Pflanzendekor der Kirche zu Karja, der seinen Ursprung in der Île-de-France hat. Der Schöpfer der Skulpturen dieser Kirche war ebenso in der Kirche zu Pöide und der Tallinner Domkirche sowie wahrscheinlich auch der Kirche von Kullamaa / Goldenbeck tätig und auf der Insel Gotland am Bau der Kirche zu Boge beteiligt.
Im dritten Viertel des 14. Jahrhunderts waren beim Bau der Bischofsburg auf Saaremaa in Kuressaare Meister böhmischer Herkunft aktiv. Offenbar erbauten sie zur selben Zeit auch das Chorhaupt der Kirche zu Valjala und wahrscheinlich auch den Chorraum der Kirche in Püha. Wenn im Allgemeinen die Wände aus Bruchstein (Kalkstein) gemauert waren, so verwendeten die genannten Meister zugehauene Kalksteinquader oder zumindest Bausteine mit sichtbarem Randschlag .
Im Bistum Ösel-Wiek / Saare-Lääne entwickelte sich verhältnismäßig früh ein Netz von steinernen Pfarrkirchen. Ungeachtet dessen entstand hier um das Jahr 1500 ein neuer Bauboom. Es wurden mindestens fünf neue Pfarrkirchen gebaut. Initiator und Bauherr war Bischof Johannes III. Orges (1492–1515), dessen steinernes Wappen sich in den Kirchen zu Käina / Keinis, Martna / Martini und Kirbla / Kirrefer befindet. Zu diesem Zeitpunkt wurde in der Region ein bereits im 13. Jahrhundert verbreiteter einschiffiger, kastenförmiger Bautyp ohne eigenständigen Chorraum wiederbelebt, dem nun ein geräumiger Westturm mit einer hohen Nische hinzugefügt wurde. Im Kirchensaal ist das östliche Altargewölbe durch einen niedrigen, schmalen Triumphbogen vom Gemeinderaum abgetrennt. Diesen Kirchentypus vertritt auch die in den Jahren 1531–34 erbaute Kirche zu Pärnu-Jaagupi / St. Jakobi, es handelte sich um den letzten mittelalterlichen Sakralbau in Estland.
Überraschend intensiv wurde der Kirchenbau im 13. Jahrhundert in Zentralestland – im Kreis Järvamaa – vorangetrieben. Ein Grund dafür war wahrscheinlich der Vertrag von Stensby von 1238, der die Möglichkeiten des Burgenbaus begrenzte. Damit wurde es hier möglich, die gesamte Baukapazität auf den Kirchenbau zu lenken. Es bildete sich eine Gruppe von Landkirchen mit besonderen Merkmalen heraus. Zu den frühesten gehörte vermutlich die in der Mitte des 13. Jahrhunderts erbaute Kirche zu Ambla / Ampel, deren Gewölbe im dreischiffigen Langhaus auf schlanken Säulen ruht. Das Ergebnis war ein nunmehr geräumiger und gut beleuchteter Kirchensaal, die Säulen störten am wenigsten die Vision von einem einheitlichen Raum. Sowohl Ambla als auch die darauffolgend erbauten Kirchen im Kreis Järvamaa sind diejenigen Hallenkirchen in Estland, die diesem Ideal am nächsten kommen. Es handelt sich auch um die einzige Region, in der bereits im 13. Jahrhundert die meisten Kirchen über einen Westturm verfügten – als Vorbild diente die Kirche zu Suure-Jaani / Groß-St. Johannis in der Komturei Fellin / Viljandi. Die Kapitelle der Kirche zu Ambla haben ein romanisches Rankenwerk, was zweifelsohne auf die gotländische Herkunft des Meisters verweist. In den anschließend erbauten Kirchen (Koeru / St. Maria Magdalena, Türi / Turgel und Pilistvere / Pillistfer) fiel der bildhauerische Dekor der Portale, Kapitelle und Gewölbekonsolen eindeutig frühgotisch aus. Zur selben Zeit blieb der Kirchentypus unverändert – immer noch wurden dreischiffige Hallenkirchen mit schlanken Säulen gebaut. Ausschlaggebend war hier der Wille des Bauherrn.
Die Informationen über die Landkirchen in Nordestland während der Herrschaft der Dänen sind ziemlich dürftig – insbesondere im Fall von Virumaa. Als Grund könnte die geografische Lage als Grenzregion vermutet werden, in der die Christianisierung nur mit großer Verspätung erfolgte. Tatsächlich hatte sich hier aber bereits in den 1220er Jahren ein recht beachtliches Netz von Kirchen herausgebildet. Offensichtlich waren diese Kirchen überwiegend aus Holz gebaut (und sind nicht erhalten), weshalb nähere Informationen über sie fehlen. Eine Ausnahme stellt die Kirche zu Viru-Nigula dar, die in reiner Form die Tradition der Kirchen des 13. Jahrhunderts in Järvamaa repräsentiert.
In der Mitte des 14. Jahrhunderts, offensichtlich nach dem Übergang Nordestlands in die Herrschaft des livländischen Zweigs des Deutschen Ordens, verbreitete sich ein für Nordestland spezifischer Kirchentypus – ein einfacher, viereckiger Bau ohne eigenständigen Altarraum und Gewölbe. Offenbar lag der Grund für den Bau solcher extrem einfachen Kirchen nicht an der Unzulänglichkeit ihrer Baumeister, sondern ist der Tatsache geschuldet, dass die Ideologie der Dominikaner in Tallinn große Popularität erreicht hatte. Die Grundregeln dieses Bettelordens waren betont asketisch, so untersagten sie unter anderem die Errichtung eines Gewölbes im Gemeinderaum. In dieser Form wurde das Langhaus der Kirchen zu Keila / Kegel und Kose / Kosch (Kreis Harjumaa / Harrien) sowie der Kirchen zu Lüganuse / Luggenhusen und Jõhvi / Jewe (Kreis Virumaa) erbaut. Sowohl in der Westfassade der Kirche zu Keila als auch in der zu Kose befanden sich sogenannte Konsoltürme , deren Fragmente heutzutage von den im 15. Jahrhundert errichteten Westtürmen verborgen werden. Es wird vermutet, dass diese Türmchen auch über eine Verteidigungsfunktion verfügten – von hier aus ließ sich der Bereich vor dem Hauptportal schützen. Sämtliche hier genannten Kirchen wurden im Spätmittelalter umfassend umgebaut.
Der zu Beginn des 15. Jahrhunderts in Tallinn einsetzende Bauboom konzentrierte sich hauptsächlich auf Nordestland: Es wurden sowohl neue Kirchen gebaut als auch alte umgestaltet. Unter anderem erhielten die bis dahin noch einfachen kastenförmigen Bauten Gewölbe (Keila, Lüganuse und Jõhvi). Aus Schriftquellen geht hervor, dass die Kirche zu Keila von Tallinner Meistern umgebaut wurde. Aber auch an den Bauformen der Stadtkirche zu Narva und der Kirche zu Viru-Jaagupi / St. Jakobi wird deutlich, dass die Leitung der Bauarbeiten in der Hand eines Tallinner Meisters lag. Die Traditionen der Tallinner Bauhütten treten aber auch zu Tage in den Kirchen zu Risti / Kreuz, Kose, Haljala / Haljall, Lüganuse und Väike-Maarja / Klein-Marien. Es dominierte die dreischiffige Hallenkirche und auch der Westturm wurde zur Regel.
Ein großer Teil der Kirchen im Kreis Virumaa befindet sich in der Nähe der Militärstraße Tallinn-Narva. Dieser Umstand wurde nach 1478 problematisch, als das Großfürstentum Moskau Novgorod unterwarf. Infolgedessen wurden mehrere Kirchen in Virumaa als Wehrkirchen gebaut. Im oberen Teil des Mauerwerks der Kirche zu Jõhvi verlief ein hölzerner Wehrgang – eine Hurde ; in den Wänden oder im Mauerwerk der Türme der Kirchen zu Haljala, Väike-Maarja und Simuna / St. Simonis finden sich hingegen Schießscharten für Feuerwaffen.
Im Vergleich zu den meisten Regionen ist das frühe architektonische Erbe Südestlands verhältnismäßig schlecht erhalten. Schon der Backstein selbst ist anfälliger für Verfall als Kalkstein. Ebenso musste der Süden Estlands erheblich mehr kriegerische Ereignisse durchleben: Im Vergleich zum Livländischen Krieg, dem Großen Nordischen Krieg und dem Zweiten Weltkrieg waren die polnisch-schwedischen Kämpfe in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts besonders desaströs. In hohem Maße wurden damals die Landkirchen beschädigt, die fast alle zu Ruinen wurden. Später spielten auch wirtschaftlich günstige Zeiten eine wichtige Rolle. Als in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Einwohnerzahl auf dem estnischen Gebiet explosionsartig zunahm und die mittelalterlichen Kirchen zu eng wurden, wurden diese umgestaltet bzw. neue Kirchen erbaut – besonders im wirtschaftlich prosperierenden Südestland, wo zahlreiche mittelalterliche Kirchen im Verlauf von Um- und Anbauten ihr historisches Erscheinungsbild komplett verloren. Zur selben Zeit blieben Westestland und die Insel Saaremaa als verhältnismäßig arme Regionen von diesem Prozess nahezu unberührt.
Südestland umfasste die Gebiete des Bischofs von Dorpat / Tartu und des Deutschen Ordens, doch in der Kirchenarchitektur führte das nicht zu Unterschieden. 1224 übertrug der Tartuer Bischof Hermann seinen fünf engsten Gefährten ein ganzes Kirchspiel, was wahrscheinlich auch das Patronatsrecht einschloss. In so manch einem Fall versuchten die bedeutenderen Vasallen des Bistums mit ihren Pfarrkirchen Elemente der Domkirche zu Tartu zu übernehmen. Dies ist in der Kirche zu Puhja / Kawelecht merkbar, die der Familie von Tiesenhausen gehörte, besonders deutlich aber in der Kirche zu Urvaste / Urbs, deren Patronatsrecht sich zwei der mächtigsten Adelsgeschlechter des Bistums Dorpat / Tartu teilten – die Tiesenhausen und die Uexkülls. Die Kirche zu Urvaste war die einzige basilikale Landkirche im gesamten mittelalterlichen Estland. In Südestland wurde als Baumaterial hauptsächlich Feldstein verwendet, zur Ausformung von Details auch Backstein. Nur wenige Kirchen mit reinen und unverputzten Backsteinwänden sind bekannt – beispielsweise die Kirche zu Puhja in ihrer ursprünglichen Form, ebenso die Kirche zu Rannu.
Südestlands älteste, offenbar aus der Mitte des 13. Jahrhunderts stammende Kirchen sind diejenigen zu Nõo / Nüggen und zu Suure-Jaani – die letztere ist verbunden mit den Entwicklungen in Järvamaa. Besonders gut ist die Kirche zu Nõo erhalten – es handelt sich um die einzige südestnische Kirche, in der alle Gewölbe noch vorhanden sind. Die Kirche zu Nõo besteht aus einem dreischiffigen, länglichen und dreijochigen Langhaus und einem quadratischen Chor. Der Westturm fehlt – dieses Merkmal prägte den gesamten folgenden Kirchenbau in Südestland im 13.–14. Jahrhundert. Offenbar diente in diesem Zusammenhang das Regelwerk der Zisterzienser als Vorbild, deren Kloster in Kärkna / Falkenau in enger Verbindung mit den Bischöfen von Tartu und den wichtigeren Vasallen des Bistums Dorpat / Tartu stand. Die Kirche zu Nõo hat selten reich gestaltete Giebel, bei denen auch ein für die Romanik typischer, steigender Rundbogenfries verwendet wurde. Außergewöhnlich ist das Chorgewölbe, dessen Vorbilder aus dem Rheinland oder Westfalen stammen. Offenbar war der Meister zuvor in der Bauhütte der Domkirche zu Riga tätig gewesen.
Das Raumschema der Kirche zu Nõo diente im 13. und 14. Jahrhundert in vereinfachter Form auch den Kirchen zu Paistu / Paistel, Helme und Laiuse / Lais als Vorbild. Im 15. Jahrhundert begann sich aber in Südestland ein neuer Typus von Landkirchen zu verbreiten. Das zuvor langgezogene Langhaus wurde kürzer und verfügte nun zumeist über einen quadratischen Grundriss. Den dreischiffigen Raum gliederte nur ein einziges Säulenpaar. Während das Mittelschiff breit ausfiel, wurden die Seitenschiffe zu schmalen Korridoren – beispielsweise waren in Halliste / Hallist die Seitenschiffe weniger als 1,80 Meter breit. Der Grund für diese Änderung war einfach: Wer der Messe beiwohnte, sollte auch sehen können, was in der Nähe das Altars vorging. Ebenso wurden Westtürme errichtet. In Karula / Karolen und Puhja gibt es auf Giebel gestützte Konsoltürme. Türme auf seitlich stützenden Strebepfeilern, zwischen denen eine hohe Nische gebildet wird, waren zur selben Zeit auch in Westestland populär.
Im 13. Jahrhundert war die Bautätigkeit in Westestland am intensivsten: sowohl im Bistum Ösel-Wiek / Saare-Lääne als auch auf dem Gebiet des livländischen Zweigs des Deutschen Ordens. Mit der Kapitulation der Bauernburg von Valjala / Wolde 1227 war die Eroberung des estnischen Gebiets abgeschlossen. Anlässlich dieses Ereignisses wurde in Valjala offenbar eine Kapelle errichtet. Es handelt sich um das älteste mit Mörtel erbaute steinerne Bauwerk in Estland. Ungefähr zur selben Zeit wurde auch in Pöide / Peude eine steinerne Kapelle errichtet, dort gestaltete der livländische Zweig des Deutschen Ordens sein Machtzentrum auf der Insel Saaremaa. Kurze Zeit später, vermutlich schon 1230, wurde die Kapelle zu Valjala zu einer ordentlichen Gemeindekirche erweitert, indem eine Rundapsis und ein einschiffiges Langhaus angebaut wurden. Die Portale dieser Kirche gehören zu den seltenen Vertretern eines reinen romanischen Stils in Estland. Im Langhaus waren an den Langwänden hölzerne Wehrgänge angebracht, wobei die Fenster als Schießscharten genutzt werden konnten. So legte die Kirche zu Valjala auf dem estnischen Gebiet den Grundstein für die Tradition der Wehrkirche.
Nach dem Vorbild der Kirche zu Valjala wurde im Bistum Ösel-Wiek / Saare-Lääne der populärste Kirchentypus des 13./14. Jahrhunderts geschaffen, bei dem an ein einschiffiges Langhaus ein etwas kleinerer Altarraum anschließt. Diesen Kirchen fehlte der Westturm – offensichtlich unter Einfluss der Ideologie der Zisterzienser oder auch der Dominikaner, deren Regelwerk den Bau eines verschönernden Turms ausschloss. Diesen Kirchentypus vertraten auf Saaremaa die Kirchen zu Kaarma / Karmel, Karja / Karris und Püha / Pyha, auf dem Festlandsterritorium des Bistums diejenigen zu Karuse / Karusen, Hanila / Hannehl und Ridala / Röthel.
Im Fall der Kirchen von Ösel-Wiek / Saare-Lääne fällt der bildhauerische Dekor auf, für den das in der Region vorkommende, geeignete Material, vor allem der Dolomit von Kaarma, die Voraussetzung schuf. Kurze Zeit später, nach den archaischen romanischen Formen der Portale zu Valjala, wurde im Bistum auf dem Festland wie auf Saaremaa ein frühgotischer Dekor vorherrschend, der sich hauptsächlich durch Knospenkapitelle auszeichnete. Dasselbe Motiv wurde auch für Schlusssteine genutzt. Zumindest in einigen Fällen, wie der Domkirche zu Haapsalu und der Kirche zu Kaarma, können personelle Beziehungen festgestellt werden, hier etwa die Anwesenheit des Meisters der Dombauhütte Riga sowie im Fall des Schlusssteins in Kihelkonna / Kielkond des Bauhüttenmeisters der Zisterzienserkirche in Varnhem (Schweden). Der Höhepunkt der mittelalterlichen Bauskulptur des Bistums Ösel-Wiek / Saare-Lääne und gleichzeitig ganz Estlands war der naturalistische, hochgotische Pflanzendekor der Kirche zu Karja, der seinen Ursprung in der Île-de-France hat. Der Schöpfer der Skulpturen dieser Kirche war ebenso in der Kirche zu Pöide und der Tallinner Domkirche sowie wahrscheinlich auch der Kirche von Kullamaa / Goldenbeck tätig und auf der Insel Gotland am Bau der Kirche zu Boge beteiligt.
Im dritten Viertel des 14. Jahrhunderts waren beim Bau der Bischofsburg auf Saaremaa in Kuressaare Meister böhmischer Herkunft aktiv. Offenbar erbauten sie zur selben Zeit auch das Chorhaupt der Kirche zu Valjala und wahrscheinlich auch den Chorraum der Kirche in Püha. Wenn im Allgemeinen die Wände aus Bruchstein (Kalkstein) gemauert waren, so verwendeten die genannten Meister zugehauene Kalksteinquader oder zumindest Bausteine mit sichtbarem Randschlag .
Im Bistum Ösel-Wiek / Saare-Lääne entwickelte sich verhältnismäßig früh ein Netz von steinernen Pfarrkirchen. Ungeachtet dessen entstand hier um das Jahr 1500 ein neuer Bauboom. Es wurden mindestens fünf neue Pfarrkirchen gebaut. Initiator und Bauherr war Bischof Johannes III. Orges (1492–1515), dessen steinernes Wappen sich in den Kirchen zu Käina / Keinis, Martna / Martini und Kirbla / Kirrefer befindet. Zu diesem Zeitpunkt wurde in der Region ein bereits im 13. Jahrhundert verbreiteter einschiffiger, kastenförmiger Bautyp ohne eigenständigen Chorraum wiederbelebt, dem nun ein geräumiger Westturm mit einer hohen Nische hinzugefügt wurde. Im Kirchensaal ist das östliche Altargewölbe durch einen niedrigen, schmalen Triumphbogen vom Gemeinderaum abgetrennt. Diesen Kirchentypus vertritt auch die in den Jahren 1531–34 erbaute Kirche zu Pärnu-Jaagupi / St. Jakobi, es handelte sich um den letzten mittelalterlichen Sakralbau in Estland.
Überraschend intensiv wurde der Kirchenbau im 13. Jahrhundert in Zentralestland – im Kreis Järvamaa – vorangetrieben. Ein Grund dafür war wahrscheinlich der Vertrag von Stensby von 1238, der die Möglichkeiten des Burgenbaus begrenzte. Damit wurde es hier möglich, die gesamte Baukapazität auf den Kirchenbau zu lenken. Es bildete sich eine Gruppe von Landkirchen mit besonderen Merkmalen heraus. Zu den frühesten gehörte vermutlich die in der Mitte des 13. Jahrhunderts erbaute Kirche zu Ambla / Ampel, deren Gewölbe im dreischiffigen Langhaus auf schlanken Säulen ruht. Das Ergebnis war ein nunmehr geräumiger und gut beleuchteter Kirchensaal, die Säulen störten am wenigsten die Vision von einem einheitlichen Raum. Sowohl Ambla als auch die darauffolgend erbauten Kirchen im Kreis Järvamaa sind diejenigen Hallenkirchen in Estland, die diesem Ideal am nächsten kommen. Es handelt sich auch um die einzige Region, in der bereits im 13. Jahrhundert die meisten Kirchen über einen Westturm verfügten – als Vorbild diente die Kirche zu Suure-Jaani / Groß-St. Johannis in der Komturei Fellin / Viljandi. Die Kapitelle der Kirche zu Ambla haben ein romanisches Rankenwerk, was zweifelsohne auf die gotländische Herkunft des Meisters verweist. In den anschließend erbauten Kirchen (Koeru / St. Maria Magdalena, Türi / Turgel und Pilistvere / Pillistfer) fiel der bildhauerische Dekor der Portale, Kapitelle und Gewölbekonsolen eindeutig frühgotisch aus. Zur selben Zeit blieb der Kirchentypus unverändert – immer noch wurden dreischiffige Hallenkirchen mit schlanken Säulen gebaut. Ausschlaggebend war hier der Wille des Bauherrn.
Die Informationen über die Landkirchen in Nordestland während der Herrschaft der Dänen sind ziemlich dürftig – insbesondere im Fall von Virumaa. Als Grund könnte die geografische Lage als Grenzregion vermutet werden, in der die Christianisierung nur mit großer Verspätung erfolgte. Tatsächlich hatte sich hier aber bereits in den 1220er Jahren ein recht beachtliches Netz von Kirchen herausgebildet. Offensichtlich waren diese Kirchen überwiegend aus Holz gebaut (und sind nicht erhalten), weshalb nähere Informationen über sie fehlen. Eine Ausnahme stellt die Kirche zu Viru-Nigula dar, die in reiner Form die Tradition der Kirchen des 13. Jahrhunderts in Järvamaa repräsentiert.
In der Mitte des 14. Jahrhunderts, offensichtlich nach dem Übergang Nordestlands in die Herrschaft des livländischen Zweigs des Deutschen Ordens, verbreitete sich ein für Nordestland spezifischer Kirchentypus – ein einfacher, viereckiger Bau ohne eigenständigen Altarraum und Gewölbe. Offenbar lag der Grund für den Bau solcher extrem einfachen Kirchen nicht an der Unzulänglichkeit ihrer Baumeister, sondern ist der Tatsache geschuldet, dass die Ideologie der Dominikaner in Tallinn große Popularität erreicht hatte. Die Grundregeln dieses Bettelordens waren betont asketisch, so untersagten sie unter anderem die Errichtung eines Gewölbes im Gemeinderaum. In dieser Form wurde das Langhaus der Kirchen zu Keila / Kegel und Kose / Kosch (Kreis Harjumaa / Harrien) sowie der Kirchen zu Lüganuse / Luggenhusen und Jõhvi / Jewe (Kreis Virumaa) erbaut. Sowohl in der Westfassade der Kirche zu Keila als auch in der zu Kose befanden sich sogenannte Konsoltürme , deren Fragmente heutzutage von den im 15. Jahrhundert errichteten Westtürmen verborgen werden. Es wird vermutet, dass diese Türmchen auch über eine Verteidigungsfunktion verfügten – von hier aus ließ sich der Bereich vor dem Hauptportal schützen. Sämtliche hier genannten Kirchen wurden im Spätmittelalter umfassend umgebaut.
Der zu Beginn des 15. Jahrhunderts in Tallinn einsetzende Bauboom konzentrierte sich hauptsächlich auf Nordestland: Es wurden sowohl neue Kirchen gebaut als auch alte umgestaltet. Unter anderem erhielten die bis dahin noch einfachen kastenförmigen Bauten Gewölbe (Keila, Lüganuse und Jõhvi). Aus Schriftquellen geht hervor, dass die Kirche zu Keila von Tallinner Meistern umgebaut wurde. Aber auch an den Bauformen der Stadtkirche zu Narva und der Kirche zu Viru-Jaagupi / St. Jakobi wird deutlich, dass die Leitung der Bauarbeiten in der Hand eines Tallinner Meisters lag. Die Traditionen der Tallinner Bauhütten treten aber auch zu Tage in den Kirchen zu Risti / Kreuz, Kose, Haljala / Haljall, Lüganuse und Väike-Maarja / Klein-Marien. Es dominierte die dreischiffige Hallenkirche und auch der Westturm wurde zur Regel.
Ein großer Teil der Kirchen im Kreis Virumaa befindet sich in der Nähe der Militärstraße Tallinn-Narva. Dieser Umstand wurde nach 1478 problematisch, als das Großfürstentum Moskau Novgorod unterwarf. Infolgedessen wurden mehrere Kirchen in Virumaa als Wehrkirchen gebaut. Im oberen Teil des Mauerwerks der Kirche zu Jõhvi verlief ein hölzerner Wehrgang – eine Hurde ; in den Wänden oder im Mauerwerk der Türme der Kirchen zu Haljala, Väike-Maarja und Simuna / St. Simonis finden sich hingegen Schießscharten für Feuerwaffen.
Im Vergleich zu den meisten Regionen ist das frühe architektonische Erbe Südestlands verhältnismäßig schlecht erhalten. Schon der Backstein selbst ist anfälliger für Verfall als Kalkstein. Ebenso musste der Süden Estlands erheblich mehr kriegerische Ereignisse durchleben: Im Vergleich zum Livländischen Krieg, dem Großen Nordischen Krieg und dem Zweiten Weltkrieg waren die polnisch-schwedischen Kämpfe in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts besonders desaströs. In hohem Maße wurden damals die Landkirchen beschädigt, die fast alle zu Ruinen wurden. Später spielten auch wirtschaftlich günstige Zeiten eine wichtige Rolle. Als in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Einwohnerzahl auf dem estnischen Gebiet explosionsartig zunahm und die mittelalterlichen Kirchen zu eng wurden, wurden diese umgestaltet bzw. neue Kirchen erbaut – besonders im wirtschaftlich prosperierenden Südestland, wo zahlreiche mittelalterliche Kirchen im Verlauf von Um- und Anbauten ihr historisches Erscheinungsbild komplett verloren. Zur selben Zeit blieben Westestland und die Insel Saaremaa als verhältnismäßig arme Regionen von diesem Prozess nahezu unberührt.
Südestland umfasste die Gebiete des Bischofs von Dorpat / Tartu und des Deutschen Ordens, doch in der Kirchenarchitektur führte das nicht zu Unterschieden. 1224 übertrug der Tartuer Bischof Hermann seinen fünf engsten Gefährten ein ganzes Kirchspiel, was wahrscheinlich auch das Patronatsrecht einschloss. In so manch einem Fall versuchten die bedeutenderen Vasallen des Bistums mit ihren Pfarrkirchen Elemente der Domkirche zu Tartu zu übernehmen. Dies ist in der Kirche zu Puhja / Kawelecht merkbar, die der Familie von Tiesenhausen gehörte, besonders deutlich aber in der Kirche zu Urvaste / Urbs, deren Patronatsrecht sich zwei der mächtigsten Adelsgeschlechter des Bistums Dorpat / Tartu teilten – die Tiesenhausen und die Uexkülls. Die Kirche zu Urvaste war die einzige basilikale Landkirche im gesamten mittelalterlichen Estland. In Südestland wurde als Baumaterial hauptsächlich Feldstein verwendet, zur Ausformung von Details auch Backstein. Nur wenige Kirchen mit reinen und unverputzten Backsteinwänden sind bekannt – beispielsweise die Kirche zu Puhja in ihrer ursprünglichen Form, ebenso die Kirche zu Rannu.
Südestlands älteste, offenbar aus der Mitte des 13. Jahrhunderts stammende Kirchen sind diejenigen zu Nõo / Nüggen und zu Suure-Jaani – die letztere ist verbunden mit den Entwicklungen in Järvamaa. Besonders gut ist die Kirche zu Nõo erhalten – es handelt sich um die einzige südestnische Kirche, in der alle Gewölbe noch vorhanden sind. Die Kirche zu Nõo besteht aus einem dreischiffigen, länglichen und dreijochigen Langhaus und einem quadratischen Chor. Der Westturm fehlt – dieses Merkmal prägte den gesamten folgenden Kirchenbau in Südestland im 13.–14. Jahrhundert. Offenbar diente in diesem Zusammenhang das Regelwerk der Zisterzienser als Vorbild, deren Kloster in Kärkna / Falkenau in enger Verbindung mit den Bischöfen von Tartu und den wichtigeren Vasallen des Bistums Dorpat / Tartu stand. Die Kirche zu Nõo hat selten reich gestaltete Giebel, bei denen auch ein für die Romanik typischer, steigender Rundbogenfries verwendet wurde. Außergewöhnlich ist das Chorgewölbe, dessen Vorbilder aus dem Rheinland oder Westfalen stammen. Offenbar war der Meister zuvor in der Bauhütte der Domkirche zu Riga tätig gewesen.
Das Raumschema der Kirche zu Nõo diente im 13. und 14. Jahrhundert in vereinfachter Form auch den Kirchen zu Paistu / Paistel, Helme und Laiuse / Lais als Vorbild. Im 15. Jahrhundert begann sich aber in Südestland ein neuer Typus von Landkirchen zu verbreiten. Das zuvor langgezogene Langhaus wurde kürzer und verfügte nun zumeist über einen quadratischen Grundriss. Den dreischiffigen Raum gliederte nur ein einziges Säulenpaar. Während das Mittelschiff breit ausfiel, wurden die Seitenschiffe zu schmalen Korridoren – beispielsweise waren in Halliste / Hallist die Seitenschiffe weniger als 1,80 Meter breit. Der Grund für diese Änderung war einfach: Wer der Messe beiwohnte, sollte auch sehen können, was in der Nähe das Altars vorging. Ebenso wurden Westtürme errichtet. In Karula / Karolen und Puhja gibt es auf Giebel gestützte Konsoltürme. Türme auf seitlich stützenden Strebepfeilern, zwischen denen eine hohe Nische gebildet wird, waren zur selben Zeit auch in Westestland populär.
Klöster
Auf estnischem Gebiet befanden sich zwei Zisterzienserklöster: in Padise / Padis in Nordestland und in Kärkna in der Nähe von Tartu. Die Architektur beider Klöster unterschied sich deutlich von der im übrigen Europa verbreiteten Bautradition der Zisterzienser. Sowohl in Padise als auch in Kärkna diente ein einfacher, einschiffiger Raum als Kirchensaal, zur Unterbringung der notwendigen Seitenaltäre wurden unter der Kirche eine Kapelle oder eine Unterkirche hinzugefügt. Eine derartige Lösung für ein europäisches Zisterzienserkloster ist außerhalb von Livland unbekannt. Ungewöhnlich ist auch die Tatsache, dass es sich bei beiden Klöstern gleichzeitig um Wehrbauten handelte. So verfügt Padise über eine gut gesicherte Zugbrücke und einen Torbau mit Fallgitter. An den Außenmauern der Klausur verlief ein Wehrgang mit Zinnen. In dieser Form erinnerte das Kloster eher an eine Burg als an ein traditionelles Zisterzienserkloster. Auch Kärkna war befestigt. Die Klosteranlage umgab eine an ein Ringmauerkastell erinnernde massive Mauer zusammen mit einem gesicherten Torbau und einem runden Geschützturm.
In unmittelbarer Nachbarschaft der städtischen Gemarkung von Tallinn, im heutigen Vorort Pirita / St. Brigitten, errichtete der Birgittenorden 1407 ein Kloster, das wahrscheinlich 1436 geweiht wurde. In den Regeln dieses Ordens war exakt festgelegt, wie die Klosterkirche aussehen sollte: eine dreischiffige, fünfjochige Hallenkirche, wobei sich der Chorraum abweichend von der Tradition im Westen zu befinden hatte. Aus unbekannten Gründen wurden hier diese Regeln einfach ignoriert. Die Klosterkirche zu Pirita verfügt über acht Joche und der Chorbereich befindet sich im Osten. Die Kirche wurde vorerst als Basilika geplant – darauf verweisen Gewölbekonsolen an der Nordwand der Kirche. Dennoch wurde auf den anfänglichen Entwurf verzichtet und die Kirche als Hallenkirche fertiggestellt. Das Mauerwerk der übergroßen Klausur der Nonnen ist heute freigelegt und zu besichtigen.
In unmittelbarer Nachbarschaft der städtischen Gemarkung von Tallinn, im heutigen Vorort Pirita / St. Brigitten, errichtete der Birgittenorden 1407 ein Kloster, das wahrscheinlich 1436 geweiht wurde. In den Regeln dieses Ordens war exakt festgelegt, wie die Klosterkirche aussehen sollte: eine dreischiffige, fünfjochige Hallenkirche, wobei sich der Chorraum abweichend von der Tradition im Westen zu befinden hatte. Aus unbekannten Gründen wurden hier diese Regeln einfach ignoriert. Die Klosterkirche zu Pirita verfügt über acht Joche und der Chorbereich befindet sich im Osten. Die Kirche wurde vorerst als Basilika geplant – darauf verweisen Gewölbekonsolen an der Nordwand der Kirche. Dennoch wurde auf den anfänglichen Entwurf verzichtet und die Kirche als Hallenkirche fertiggestellt. Das Mauerwerk der übergroßen Klausur der Nonnen ist heute freigelegt und zu besichtigen.
Kapellen
Am wenigsten bekannt ist über eine im Mittelalter sehr zahlreich vertretene Gruppe von Sakralbauten: die Kapellen. In der Regel gab es in unmittelbarer Nähe jeder Stadt mehrere von ihnen, mitunter waren sie auch verbunden mit Siechenhäusern. Beispielsweise befanden sich in der städtischen Gemarkung von Tallinn das Jaani- / Johannes-Siechenhaus und die Antonius-, die Barbara- und die Gertruden-Kapelle. In Tartu sind das Georgs-Siechenhaus, die Antonius- und die Anna-Kapelle bekannt, in Viljandi die Jerusalem-, die Antonius-, die Elisabeth- und die Katharina-Kapelle. Im besten Fall kennen wir ihren ungefähren Standort, doch über ihre Architektur fehlt uns jegliche Vorstellung. Eine Ausnahme bildet die St. Katharinen-Kapelle in Viljandi (Anfang 15. Jahrhundert), deren Grundmauern 1908 ausgegraben wurden. Noch lückenhafter sind die Angaben über mittelalterliche Kapellen in Dörfern. Schriftquellen des 17. bis 18. Jahrhunderts erwähnen, dass sie in einigen Gebieten geradezu massenhaft auftraten: Beispielsweise gab es in der Nähe von Gut Antsla / Anzen in Võrumaa / Kreis Werro mindestens acht mittelalterliche Kapellen. Offensichtlich war ein großer Teil von ihnen aus Holz erbaut worden. Allerdings konnte es sich dabei jeweils auch nur um eine Kultstätte, ein einfaches Kreuz oder eine Heiligenfigur in einem kleinen Unterstand handeln, ohne eigentliches Bauwerk. Lediglich die Kapelle zu Saha / Saage in der Nähe Tallinns ist gut erhalten, die im 15. Jahrhundert ihre endgültige Form erhielt. Einige wenige Reste gibt es in Südestland, wie die der Heiligkreuz-Kapelle zu Vanamõisa / Wannamois und der Fronleichnams-Kapelle zu Helme – beide stammen ebenso aus dem 15. Jahrhundert.